Berlin, den 12.09.2025

Das reale Ausmaß rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten wird durch das Bundeskriminalamt und die Landeskriminalämter nur unvollständig und uneinheitlich erfasst. Das zeigt eine aktuelle Antwort des Bundesinnenministeriums auf eine Kleine Anfrage zur politisch motivierten Kriminalität rechts (PMK-rechts) der Bundestagsabgeordneten Clara Bünger (Die Linke)[1]. Ein Vergleich mit dem Monitoring unabhängigen Opferberatungsstellen verdeutlicht in der Mehrzahl der Bundesländer dramatische Abweichungen. Die Bundesländer mit den höchsten Fallzahlen rechter Gewalttaten pro 100.000 Einwohner:innen im Monitoring der Opferberatungsstellen[2] sind nur teilweise identisch mit den Bundesländern, die das BKA als die fünf Spitzenreiter unter 16 Bundesländern ausweist: Berlin (Reach Out & RIAS Berlin: 9,99 / BKA 2,42), Hamburg (empower: 9,5 / BKA: 6,24), Sachsen-Anhalt (Mobile Opferberatung: 8,3 / BKA: 4,96), Mecklenburg-Vorpommern (LOBBI 6,59  / BKA: 7,2 , Brandenburg (Opferperspektive: 5,99 / BKA: 4,42 ), Thüringen (ezra: 5,82 / BKA: 6,3)  und Sachsen (RAA SUPPORT: 5,25 /BKA 3,06).

In Hinblick auf die Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt im Jahr 2026 befürchten die Opferberatungsstellen einen weiteren Anstieg des ohnehin extrem hohen Niveaus rechter Gewalt und eine Ausweitung der Gefahrenzonen. Denn die Erfahrungen aus Brandenburg, Thüringen und Sachsen zeigen: In Bundesländern mit hohen Zustimmungswerten für rechtsextreme Parteien wie die AfD haben rechte Angriffe während des Wahlkampfs 2024–etwa auf Kandidat:innen demokratischer Parteien, demokratisch Engagierte und migrantisierte Betroffene und Geflüchtete – erheblich zugenommen.

In der Auswertung der Angriffszahlen wird auch deutlich: Damit das reale Ausmaß rechter Gewalt und zeitnah Unterstützungsangebote bekannt werden, braucht es in allen Bundesländern regelmäßige Austauschformate zwischen Ermittlungsbehörden und Opferberatungsstellen. In Thüringen beispielsweise, sagt Franz Zobel von ezra, „ist das Ausmaß rechter Gewalt noch massiver als bislang von ezra registriert.“ Im unabhängigen Monitoring hatte die Opferberatungsstelle bereits 206 rechte Gewalttaten registriert – nun kommen aus der BKA-Fallliste 79 weitere Verdachtsfälle hinzu. „Dabei gilt es zu beachten, dass eine erhebliche Zahl rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten von den Behörden nicht als PMK-rechts- eingestuft werden,“ betont Franz Zobel und warnt: „Rechte Gewalt entwickelt sich im Freistaat Thüringen zu einem Massenphänomen.“

Rechte Gewalt ist ein bundesweites Problem: Fallbeispiele aus dem Monitoring der Opferberatungsstellen zeigen die Lücken

Mit Ausnahme von Hamburg ist die Diskrepanz zwischen dem Monitoring der Opferberatungsstellen und den BKA-Zahlen in den westdeutschen Flächenländern und Stadtstaaten besonders gravierend und verweist auf ein dramatisches Ausmaß von Untererfassung.  Das Monitoring der Beratungsstellen macht deutlich: Rechte, rassistische und antisemitische Gewalt betrifft alle Bundesländer.

  • Nordrhein-Westfalen: „Während das BKA für NRW lediglich 154 rechte Gewalttaten zählt, haben die Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp NRW in 2024 mehr als 294 Gewalttaten dokumentiert – darunter drei Tötungsdelikte, vier versuchte Tötungen und zwölf Brandanschläge. „Dass diese Realität in den offiziellen Statistiken nicht auftaucht, zeigt, wie groß die Lücke in der Erfassung rechter Gewalt ist“, kritisiert Fabian Reeker von der OBR. So fehlen in den Polizeistatistiken beispielsweise der tödliche rassistische Brandanschlag im März 2024 in Solingen oder der Angriff eines AfD-Delegierten und Kommunalpolitikers aus einen Gegendemonstranten beim AfD-Parteitag in Essen durch einen Biss in die Wade (Juni 2024). „Wenn immer wieder zur Anzeige gebrachte Gewalttaten, in denen eindeutige Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv vorliegen, nicht in die Polizei-Statistiken aufgenommen werden, dann ist das mehr als ein bloßes Erfassungsdefizit. Für die Betroffenen bedeutet es Unsichtbarkeit und Entwertung ihrer Erfahrungen“, sagte Fabian Reeker von der Opferberatung Rheinland.
  • Bayern: Die Beratungsstelle B.U.D. kritisiert, dass mindestens 45 zur Anzeige gebrachte Gewalttaten mit rechtem oder rassistischem Tatmotiv in der Polizei-Statistik fehlen. In Nürnberg (Bayern) beispielsweise wurde ein junger Mann homofeindlich beleidigt und mit einem Messer verletzt. Trotz klarer Hinweise auf ein queerfeindliches Motiv wird der Angriff in der Statistik nicht als rechte Gewalt erfasst.
  • Mecklenburg-Vorpommern (Beratungsstelle LOBBI): „Rechte Gewalt und rassistischer Alltag werden unsichtbar gemacht, wenn die Pressestellen der Polizei sie verschweigen. Wir haben noch immer nicht den Eindruck, dass auf der untersten Ebene der Ermittlungsbehörden die Aufnahme von Anhaltspunkten für ein rassistisches Tatmotiv zuverlässig erfolgt.“
  • Hamburg (Beratungsstelle empower): „Die Anzahl der rechten Körperverletzungen hat sich 2024 in Hamburg verdoppelt. Diese Taten sind Botschaftstaten, die Verunsicherung und Bedrohung verbreiten. Das tatsächliche Ausmaß wird durch die offizielle Statistik nur unzureichend abgebildet.“

„Die Diskrepanz zwischen offiziellen Zahlen und unserer unabhängigen Dokumentation zeigt: Das reale Ausmaß rechter Gewalt ist weitaus größer als bislang erfasst. Für Betroffene hat das unmittelbare Folgen für ihr Sicherheitsgefühl – und für die gesamte Gesellschaft bedeutet es, dass Bedrohungen nicht in ihrem vollen Umfang sichtbar werden“, betonen die Opferberatungsstellen im VBRG e.V.

Die Aufschlüsselung von rechten Gewalttaten pro Bundesland pro 100.000 Einwohner:innen durch das BKA sollte Routine sein und nicht auf parlamentarische Nachfragen beruhen müssen. Die Opferberatungsstellen veröffentlichen diese schon seit mehreren Jahren, um das Ausmaß rechter Gewalt sichtbar zu machen.

Die Statistiken der Opferberatungsstellen aus den Jahren 2024 und 2023 finden Sie hier:

Kontakt

VBRG e.V. – Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt e.V.
Web: www.verband-brg.de
E-Mail: info@verband-brg.de
Tel. 030 – 33859577

[1] BT-Drs. 21/331 vom 29.8.2025

[2] Für eine bessere Vergleichbarkeit der PMK Rechts Gewaltdelikte mit dem Monitoring der Opferberatungsstellen sind die Fallzahlen pro Bundesland und 100.000 Einwohner:innen ohne Bedrohungen, Nötigungen und schwere Sachbeschädigungen erfasst.

Download: PDF – Pressemitteilung: Unvollständige Erfassung verschleiert Ausmaß rechter Gewalt

Gemeinsame Pressemitteilung der spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer (kurz: rechter) Gewalt in NRW Opferberatung Rheinland (OBR) und Betroffenenberatung Backup.

Die Jahresbilanz 2024 der beiden Betroffenenberatungsstellen in NRW zum Ausmaß rechter, rassistischer, antisemitischer oder anderer menschenfeindlicher Gewalt ist alarmierend. 526 Angriffe mit 728 direkt Betroffenen (plus 40 indirekt Betroffenen) wurden in NRW für das Jahr 2024 dokumentiert. Das bedeutet, dass jeden Tag mindestens 2 Menschen Opfer rechter, rassistischer, antisemitischer oder anderer menschenfeindlich motivierter Gewalt in NRW werden

alle 17 Stunden findet ein Angriff statt. ,,Für das Jahr 2024 haben wir mit 526 Angriffen einen erschreckenden Höchststand rechter Gewalttaten in NRW dokumentiert. Dieser Anstieg um rund 48 % zum Vorjahr ist für uns als Betroffenenberatungsstellen in NRW eine äußerst besorgniserregende Entwicklung, die sich auch in gestiegenen Beratungsintensitäten und vermehrten Fallanfragen wiederspiegelt“, sagt Fabian Reeker, Projektleiter der Opferberatung Rheinland.

Enthemmung und Brutalität rechter Gewalt in NRW 2024

„Die Enthemmung rechter Gewalt ist für unsere Beratungsnehmer*innen deutlich spürbar“, so berichtet Lara <;elikel, Beraterin der OBR. Sabrina Hosono der OBR ergänzt: ,,In keinem Jahr seit Beginn unseres Monitorings gab es in NRW so viele Tote [8 Todesopfer] durch rechte Gewalt wie 2024. Diese Entwicklung ist alarmierend. Dabei bedroht rechte Gewalt gezielt Menschen, die als ’nicht zugehörig‘ markiert werden sie richtet sich gegen unsere pluralistische Gesellschaft insgesamt.,,

Insgesamt 265 Körperverletzungen, 12 Brandstiftungen und 8 Todesopfer dokumentierten OBR und Backup in NRW für 2024. ,,Tötungsdelikte sind Ausdruck einer maximalen Eskalation – sie machen deutlich, dass rechte Gewalt in NRW lebensbedrohlich ist“, so Hosono (OBR).

Rassismus ist weiterhin das am häufigsten registrierte Tatmotiv. Zugenommen haben rassistische Angriffe gegen Muslim*innen und muslimisch gelesene Personen. Die Zahl anti­ Schwarzer Angriffe ist konstant hoch und äußert sich in brutaler physischer Gewalt. Einen beunruhigenden Anstieg verzeichnen die Beratungsstellen zudem bei Angriffen mit antisemitischer Tatmotivation und gegen politische Gegner*innen.,,Wir beobachten seit Jahren, dass antisemitische Gewalt in ihrer Häufung wie auch in ihrer Enthemmung zunimmt und dabei längst nicht mehr nur Randphänomen ist. Die Zahlen für 2024 zeigen: Antisemitismus ist gewaltvoll, strukturell und mitten in der Gesellschaft verankert“, erläutert Katherina Savchenka, Beraterin der OBR. Zum Ausmaß rechter Gewalt gegen politische Gegner*innen stellt Hosono (OBR) heraus: ,,Rechte Gewalt richtet sich zunehmend gegen Repräsentanten demokratischer Werte. Die Fälle reichen von Körperverletzung bis hin zu Sachbeschädigungen und

zielen auf die Delegitimierung politischer Repräsentation.“ Gewalttaten gegen LSBTIQ+ Personen sind auf einem kontinuierlich hohen Niveau. Alarmierend ist auch: In 18 Fällen richtete sich die Gewalt gezielt gegen wohnungslose Menschen. ,,Insbesondere bei Taten gegen Wohnungslose ist eine enthemmte Gewalt zu beobachten, die oftmals unaufgeklärt bleibt. Menschen wurden beispielsweise während des Schlafens brutal attackiert und angezündet“, sagt Thomas Billstein von Backup. Zahlreiche dieser Taten ereigneten sich zudem an Orten, an denen sich wohnungslose Menschen notgedrungen aufhalten, sodass diese Menschen der Gewalt meist schutzlos ausgeliefert waren.

Die Häufung und Brutalität dieser Taten deutet auf eine weiter sinkende Hemmschwelle und auf eine zunehmende Bereitschaft zu direkten physischen Angriffen innerhalb rechter Gewaltmilieus hin. Die gesellschaftliche Signalwirkung dieser Taten muss als Ausdruck einer sich verschärfenden rechten Gewaltstrategie verstanden werden. Täter*innen nehmen schwerste Verletzungen oder den Tod von Menschen bewusst in Kauf – oder zielen bewusst darauf ab.

Regionale Häufung im Rheinland und wieder mehr Angriffe im öffentlichen Raum Die Jahresbilanz 2024 zeigt, dass sich besonders viele Fälle im Rheinland und hier in urbanen Räumen konzentrieren – vor allem dort, wo gesellschaftliche Vielfalt auf strukturell verfestigte Abwertungen trifft. Wieder deutlich zugenommen haben Angriffe im öffentlichen Raum, d.h. auf der Straße, im ÖPNV wie auch bei Demonstrationen und Kundgebungen. ,,Es ist besorgniserregend, dass Köln auch bei Gewalt gegen LSBTIQ+ Personen den landesweiten Höchstwert markiert sowohl absolut als auch anteilig. Diese Entwicklungen sind kein Zufall.

Gerade in urbanen Räumen, in denen marginalisierte Gruppen sichtbarer sind, richtet sich rechte Gewalt gezielt gegen gelebte Vielfalt und Selbstbestimmung. Das macht deutlich: Die Täter*innen wollen nicht nur verletzen sie wollen auch, dass Räume nicht mehr sicher sind“, sagt Hannah Richardy, Beraterin der OBR. Die teils schwerwiegenden Taten sind meist gezielt gegen Communities gerichtet – ihr Symbolcharakter wirkt über die konkrete Tat hinaus und hinterlässt Angst, Wut und Ohnmacht in den betroffenen Gruppen.

,,Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl rechter Gewalttaten im Rheinland um über 70% gestiegen. In mehr als der Hälfte aller erfassten Orte haben sich die Vorfälle mindestens verdoppelt. Diese Dynamik ist erschütternd sie zeigt, dass rechte Gewalt längst kein Randphänomen ist. Sie ist Alltag“, stellt Asal Kosari, Beraterin der OBR, heraus. Eileen Beyer, Beraterin von Backup, ergänzt:,,Viele Betroffene berichten uns, dass sie bei Angriffen im öffentlichen Raum keinerlei Unterstützung durch umstehende Passant*innen erfahren haben. Das verstärkt das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, auch über den Angriff hinaus. Betroffene fühlen sich lange unsicher selbst an belebten Orten. Sie haben nicht nur Angst vor erneuter Gewalt, sondern auch davor wieder allein gelassen zu werden.“ Für betroffene Personen bedeutet dies eine meist starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit und einen Rückzug aus Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. ,,Die ausbleibende Zivilcourage hat weitreichende Folgen: Sie erschüttert das Vertrauen in gesellschaftliche Solidarität und normalisiert rassistische, antisemitische und extrem rechte Gewalt als Teil des öffentlichen Lebens“, so Beyer (BackUp) weiter.

,,Auch wenn aus den Metropolen und Großstädten die meisten Gewalttaten gemeldet werden, ist seit Jahren eine Steigerung von Fällen aus dem ländlichen und kleinstädtischen Raum zu beobachten. Rechte Gewalt ist in der Breite der Gesellschaft zu verorten“, resümiert Billstein (BackUp).

Gravierende Diskrepanz zur PMK-rechts Statistik

Auffällig ist erneut die große Diskrepanz der Jahresbilanz der Beratungsstellen zu behördlich erfassten Angriffen in NRW in 2024: Der Verfassungsschutzbericht NRW für 2024 gibt Auskunft über 154 dokumentierte rechte Gewalttaten sowie 83 Bedrohungsdelikte. Damit liegen die Zahlen der beiden Betroffenenberatungsstellen in NRW mit insgesamt 526 Fällen deutlich höher. Die Diskrepanz unterstreicht, dass das tatsächliche Ausmaß rechter Gewalt in NRW deutlich höher liegt als offiziell ausgewiesen.

„Wenn immer wieder selbst angezeigte Gewalttaten, in denen eindeutige Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv vorliegen, keinen Eingang in die PMK-rechts Statistik finden, dann ist das nicht nur ein Erfassungsdefizit, sondern eine systematische Verschleierung des tatsächlichen Ausmaßes rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, so Reeker (OBR).

Konsequenzen für Betroffene und Forderungen an Landesregierung und Kommunen

„Ratsuchende, die von Rassismus betroffen sind, berichteten uns vermehrt, dass sie ernsthaft darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen. Ausschlaggebend ist dabei nicht allein die offen rassistische Rhetorik der AfD, sondern vor allem, dass diese zunehmend von anderen Parteien übernommen und gesellschaftlich normalisiert wird“, erläutert Nils J., Berater von Backup. ,,Auch in NRW mehren sich Zustimmungswerte für extrem rechte Positionen, verschärfen rassistische Botschaften die politische Stimmung, treiben den Diskurs und die politische Praxis nach rechts und schlagen in reale Gewalt um. Für die Betroffenen dieser Politik bedeutet das konkrete und existenzielle Gefährdungslagen und ein permanentes Unsicherheitsgefühl. Es braucht jetzt nicht nur klare politische Abgrenzung nach Rechts, sondern aktive Solidarität und einen politischen Gegenentwurf: Schutz, Unterstützung und eine Politik, die sich konsequent an den Rechten und Perspektiven der von rechter Hetze Betroffenen orientiert“, schließt Hosono (0BR).

„Angesichts der dramatisch hohen Zahlen rechter Gewalt braucht es ein klares Bekenntnis zu Schutz und Solidarität mit den Betroffenen: NRW muss spezialisierte Opferberatungsstellen verlässlich und dauerhaft finanzieren sowie zivilgesellschaftliche Anlaufstellen strukturell stärken, die tagtäglich demokratie- und menschenfeindlichen Dynamiken entgegenwirken nicht im Rahmen von Projektfinanzierung, sondern als staatliche Verpflichtung“, schlussfolgert Fabian Reeker (0BR).

Ausführliche Analysen sowie die grafische Aufbereitung der Statistik finden sich im Hintergrundpapier zur Jahresstatistik 2023. Die Grafiken sind unter Nennung der Quelle (Opferberatung Rheinland und BackUp) frei verwendbar. Downloadbar auf den Webpräsenzen der Fachberatungsstellen:
www.opferberatung-rheinland.de
www.backup-nrw.org

Ansprechpartner*innen für Interviews und Rückfragen:

FabianReeker(OBR) | Telefon: 0177 844 35 72 | Mail: info[at]opferberatung-rheinland.de
Toni Wagner (BackUp) | Telefon: 01520 634 31 35 | Mail: presse[at]backup-nrw.org

Pressemittelung: Rechte Gewalt 2024: Neuer Höchststand in NRW – Jahresbilanz der Opferberatungsstellen NRW

Hintergrundpapier Jahresbilanz rechter Gewalt 2024: Ein neuer Höchststand in NRW Langfassung

Hintergrundpapier Jahresbilanz rechter Gewalt 2024: Ein neuer Höchststand in NRW Kurzfassung

Folgende Grafiken können mit Nennung der Quelle gerne genutzt werden:

Gemeinsame Pressemitteilung der Fachberatungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Die spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer Formen menschenfeindlicher Gewalt in NRW verzeichnen für das Jahr 2023 ein anhaltend hohes Niveau rechter Angriffe. Insgesamt erfassten die Opferberatung Rheinland (OBR) und die Betroffenenberatung BackUp 355 Fälle rechter Gewalt mit mindestens 452 direkt betroffenen Personen, darunter ein Tötungsdelikt. Die nicht zu erfassende Dunkelziffer rechtsmotivierter Gewalt schätzen die Fachberatungsstellen als sehr hoch ein.

Erneut in 2023 — Rassismus als häufigstes Tatmotiv

Für das Jahr 2023 verzeichnen die Beratungsstellen 214 rassistisch motivierte Angriffe, ein weiterer Anstieg gegenüber 2022 (209 Angriffe). Über 60 Prozent der rechten Angriffe in NRW waren somit rassistisch motiviert. Rassismus äußert sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen und betrifft unter ande- rem Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografien, Muslim*innen, Schwarze Menschen oder Sinti* und Roma*. Die registrierten Taten umfassen einfache (77) und gefährliche (54) Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen (5), Bedrohungs- und Nötigungsdelikte (73), sowie massive Sachbeschädigungen (4). Rassismus ist allgegenwärtig, tief in gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt und für die davon Betroffe- nen eine nahezu alltägliche Erfahrung:

„Angesichts der stetigen Normalisierung und Verschärfung rassistischer Diskurse und wachsenden Zustimmungswerten für rechte Politik bedarf es dringend einer praktischen Solidarität mit den von Rassismus und rechter Gewalt betroffenen Menschen, anstatt reiner Lippenbekenntnisse. Diese Solidarität muss sich unter anderem in konkreten politischen Maßnahmen und einer konsequenten Abgrenzung nach rechts niederschlagen“, sagt Fabian Reeker von der Opferberatung Rheinland. „So müssen beispielsweise Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene einen langfristigen Auf- und Ausbau von spezialisierten Betroffenenberatungsstellen sicherstellen“, so Reeker weiter.

Deutliche Zunahme antisemitischer Gewalttaten

Schon seit 2019 registrieren die Beratungsstellen eine kontinuierliche Steigerung antisemitischer Gewalt, welche 2023 eine drastische Zuspitzung erlebt. Die Angriffe umfassten massive Sachbeschädigung (1), Bedrohungen und Nötigungen (25) sowie einfache (6) und gefährliche Körperverletzungen (5).

„In Nordrhein Westfalen verzeichnen wir einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Gewalt nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel“, bestätigt Niklas Weitekamp von der Opferberatung Rheinland. „Jüdische Menschen in NRW sehen sich einer erhöhten Bedrohungslage ausgesetzt. Insbesondere im dynamischen Demonstrationsgeschehen haben wir eine Vielzahl von Übergriffen registriert, aber auch Angriffe im Wohnumfeld oder im öffentlichen Raum haben zugenommen.“

Besorgniserregender Anstieg von Gewalt gegen Obdach- und Wohnungslose gipfelt in einem Tötungsdelikt

Im Jahr 2023 konnten zwölf sozialdarwinistische Gewalttaten verifiziert werden — alle Angriffe richteten sich gegen wohnungslose Menschen, oder solche, die als wohnungslos wahrgenommen wurden. Neben einem Raubfall, zwei einfachen Körperverletzungsdelikten und acht gefährlichen Körperverletzungen, musste auch ein Todesopfer beklagt werden.

So wurde in Horn-Bad Meinberg ein 47-jähriger Mann von drei Jugendlichen angegriffen und mit mehreren Messerstichen getötet — die Tat wurde gefilmt und über soziale Medien verbreitet.

„Tötungsdelikte sind eine letzte tragische Konsequenz einer vorausgegangenen alltäglichen Abwertung wohnungsloser Menschen“, so Lisa Schulte von BackUp. „Fehlende Rückzugs- und Schutzmöglichkeiten tragen erheblich dazu bei, dass Diskriminierungen und Gewalt auf der Straße zu einer allgegenwärtigen Erfahrung werden, bei der die davon betroffenen Menschen ständig sichtbar und besonders angreifbar sind.“

Intensität der Übergriffe nimmt zu

Mit besonderer Besorgnis müssen die spezialisierten Beratungsstellen auch für das Jahr 2023 eine Zunahme der Intensität der Gewalt registrieren. Neben dem registrierten Tötungsdelikt zeigt sich auch ein deutlicher Anstieg von gefährlichen Körperverletzungsdelikten. Diese erreichten mit insgesamt 88 Fällen im Jahr 2023 einen traurigen Höchstwert seit dem Beginn des unabhängigen Monitorings in NRW. Knapp ein Viertel der Gesamttaten in NRW entfallen somit auf gefährliche Körperverletzungsdelikte.

Die Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp unterstützen seit 2011/12 Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in NRW. Darüber hinaus dokumentieren sie gemeinsam die Angriffs- und Bedrohungszahlen rechter, rassistischer, antisemitischer sowie anderer menschenfeindlich motivierter Gewalt. Diese veröffentlichen sie im jährlichen Zyklus.

Ausführliche Analysen sowie die grafische Aufbereitung der Statistik finden sich im Hintergrundpapier zur Jahresstatistik 2023. Die Grafiken sind unter Nennung der Quelle (Opferberatung Rheinland und BackUp) frei verwendbar. Downloadbar auf den Webpräsenzen der Fachberatungsstellen:
www.opferberatung-rheinland.de
www.backup-nrw.org

Ansprechpartner*innen für Interviews und Rückfragen:

Fabian Reeker (OBR) | Telefon: 0177 844 35 72 | Mail: info[at]opferberatung-rheinland.de

Niklas Weitekamp (OBR) | Mail: nw[at]opferberatung-rheinland.de

Lisa Schulte (BackUp) | Telefon: 0177 5 83 3023 | Mail: monitoring[at]backup-nrw.org

Pressemitteilung: Rechte Gewalt in NRW verbleibt auf sehr hohem Niveau — Jahresbilanz rechter Angriffe 2023

Hintergrundpapier zum Monitoring rechter rassistischer antisemitischer Gewalt 2023 OBR und BackUp

Folgende Grafiken können mit Nennung der Quelle gerne genutzt werden:

Gemeinsame Pressemitteilung der Fachberatungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer
und antisemitischer Gewalt

Die Fachberatungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in NRW verzeichnen erneut eine Zunahme rechter Angriffe. Insgesamt erfassten OBR und BackUp 371 Fälle rechter Gewalt mit mindestens 501 direkt betroffenen Personen. Zahlreiche darüber hinaus ermittelte Verdachtsfälle konnten aufgrund fehlender Informationen nicht in die Statistik mit einfließen. Die diese noch übersteigende Dunkelziffer rechtsmotivierter Gewalt schätzen die Fachberatungsstellen als sehr hoch ein.

Körperverletzungsdelikte weiter auf Höchststand – Ausmaß von Gewalt alarmierend
Für das Jahr 2021 registrierten OBR und Backup insgesamt 158 Körperverletzungsdelikte (eine versuchte Tötung, 69 gefährliche Körperverletzungen, 88 einfache Körperverletzungen). Im Jahr 2022 sind diese bereits alarmierenden Zahlen erneut gestiegen: Insgesamt erfassten die Fachberatungsstellen 205 Körperverletzungsdelikte. Dabei handelt es sich um drei versuchte Tötungen/schwere Körperverletzungen, 74 gefährliche und 128 einfache Körperverletzungen.

„Der vereitelte rechtsterroristische Anschlag auf das Don-Bosco Gymnasium und die Realschule Borbecker Schloss in Essen, die Schüsse auf das frühere Rabbinerhaus an der alten Synagoge in Essen, der Molotow-Cocktail-Angriff auf die Hildegardis-Schule in Bochum in derselben Nacht, der geplante Brandanschlag auf die Synagoge in Dortmund – diese Fälle zeigen die mörderische Dimension rechter Ideologie. Sie zeigen eine reale Gefahr auf – und haben damit das Potential, das Sicherheitsempfinden und die Sicherheit ganzer Gruppen und Gemeinden massiv zu schädigen.“
(Magdalena Lentsch, BackUp)

Rassismus weiterhin häufigstes Tatmotiv – Angriffe auf politische Gegner*innen nehmen wieder zu

Wie bereits in den Vorjahren bleibt Rassismus in der Auswertung von OBR und BackUp das am häufigsten
festgestellte Tatmotiv. Die Fachberatungsstellen weisen nachdrücklich darauf hin: Rassismus muss als gesamtgesellschaftliches Problem anerkannt werden. Rassistische Angriffe werden keinesfalls nur durch
organisierte Täter*innen verübt sondern sind schmerzhafte Alltagsrealität von betroffenen Personen.

Die Zahl der Angriffe gegen politische Gegner*innen (bzw. Menschen, die als solche gelesen werden), hat
seit 2019 erstmalig wieder zugenommen. Betroffene Personen wurden dabei häufig Opfer von Bedrohungen und/oder Nötigungen seitens der organisierten Rechten. In mehreren Fällen sind wiederholte Bedrohungen bekannt.

„Bedrohungen im Wohnumfeld oder die Androhung von Gewalt führen zum Verlust von sicheren
Rückzugsräumen für Betroffene. Dabei handelt es sich um organisierte Strategien, Betroffene und ihre Stimmen aus dem gesellschaftlichen Diskurs zu verdrängen. Um rechter Gewalt und menschenverachtenden Einstellungen wirksam zu begegnen, braucht es Solidarisierungsprozesse durch Zivilgesellschaft und politische Verantwortungsträger*innen. Die Stimmen der Betroffenen müssen stärker Gehör finden.“

(Fabian Reeker, Leitung der Opferberatung Rheinland)

Kritik an mangelnder Anerkennung rechter Tatmotivation
Die Fachberatungsstellen werten die Tötung von Malte C. am 27.08.2022 auf dem CSD in Münster als
queerfeindlich motiviert und stellen sich parteilich und solidarisch hinter Akteur*innen der LGBTIQA+
Community. OBR und BackUp kritisieren insgesamt die mangelnde Anerkennung rechter Tatmotivation
seitens Ermittlungs- und Justizbehörden. Rechte Gewalt, ihr Ausmaß sowie ihre Folgen für Betroffene
werden damit unsichtbar gemacht und verharmlost.

„Nach wie vor beobachten wir, dass längst nicht alle Facetten menschenfeindlicher Einstellungen Eingang in die Praxis der Ermittlungsbehörden finden. Die Erfassung von Hasskriminalität muss weiter geschärft und konsequent angewandt werden, um realistischere Lagebilder rechter Gewalt abbilden zu können.“
(Niklas Weitekamp, Opferberatung Rheinland)

Pressemitteilung vom 08.05.2023

Weitere Informationen zum gemeinsamen Monitoring sowie weiterführende Grafiken entnehmen Sie bitte dem Hintergrundpapier.