Gemeinsame Pressemitteilung der spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer (kurz: rechter) Gewalt in NRW Opferberatung Rheinland (OBR) und Betroffenenberatung Backup.

Die Jahresbilanz 2024 der beiden Betroffenenberatungsstellen in NRW zum Ausmaß rechter, rassistischer, antisemitischer oder anderer menschenfeindlicher Gewalt ist alarmierend. 526 Angriffe mit 728 direkt Betroffenen (plus 40 indirekt Betroffenen) wurden in NRW für das Jahr 2024 dokumentiert. Das bedeutet, dass jeden Tag mindestens 2 Menschen Opfer rechter, rassistischer, antisemitischer oder anderer menschenfeindlich motivierter Gewalt in NRW werden

alle 17 Stunden findet ein Angriff statt. ,,Für das Jahr 2024 haben wir mit 526 Angriffen einen erschreckenden Höchststand rechter Gewalttaten in NRW dokumentiert. Dieser Anstieg um rund 48 % zum Vorjahr ist für uns als Betroffenenberatungsstellen in NRW eine äußerst besorgniserregende Entwicklung, die sich auch in gestiegenen Beratungsintensitäten und vermehrten Fallanfragen wiederspiegelt“, sagt Fabian Reeker, Projektleiter der Opferberatung Rheinland.

Enthemmung und Brutalität rechter Gewalt in NRW 2024

„Die Enthemmung rechter Gewalt ist für unsere Beratungsnehmer*innen deutlich spürbar“, so berichtet Lara <;elikel, Beraterin der OBR. Sabrina Hosono der OBR ergänzt: ,,In keinem Jahr seit Beginn unseres Monitorings gab es in NRW so viele Tote [8 Todesopfer] durch rechte Gewalt wie 2024. Diese Entwicklung ist alarmierend. Dabei bedroht rechte Gewalt gezielt Menschen, die als ’nicht zugehörig‘ markiert werden sie richtet sich gegen unsere pluralistische Gesellschaft insgesamt.,,

Insgesamt 265 Körperverletzungen, 12 Brandstiftungen und 8 Todesopfer dokumentierten OBR und Backup in NRW für 2024. ,,Tötungsdelikte sind Ausdruck einer maximalen Eskalation – sie machen deutlich, dass rechte Gewalt in NRW lebensbedrohlich ist“, so Hosono (OBR).

Rassismus ist weiterhin das am häufigsten registrierte Tatmotiv. Zugenommen haben rassistische Angriffe gegen Muslim*innen und muslimisch gelesene Personen. Die Zahl anti­ Schwarzer Angriffe ist konstant hoch und äußert sich in brutaler physischer Gewalt. Einen beunruhigenden Anstieg verzeichnen die Beratungsstellen zudem bei Angriffen mit antisemitischer Tatmotivation und gegen politische Gegner*innen.,,Wir beobachten seit Jahren, dass antisemitische Gewalt in ihrer Häufung wie auch in ihrer Enthemmung zunimmt und dabei längst nicht mehr nur Randphänomen ist. Die Zahlen für 2024 zeigen: Antisemitismus ist gewaltvoll, strukturell und mitten in der Gesellschaft verankert“, erläutert Katherina Savchenka, Beraterin der OBR. Zum Ausmaß rechter Gewalt gegen politische Gegner*innen stellt Hosono (OBR) heraus: ,,Rechte Gewalt richtet sich zunehmend gegen Repräsentanten demokratischer Werte. Die Fälle reichen von Körperverletzung bis hin zu Sachbeschädigungen und

zielen auf die Delegitimierung politischer Repräsentation.“ Gewalttaten gegen LSBTIQ+ Personen sind auf einem kontinuierlich hohen Niveau. Alarmierend ist auch: In 18 Fällen richtete sich die Gewalt gezielt gegen wohnungslose Menschen. ,,Insbesondere bei Taten gegen Wohnungslose ist eine enthemmte Gewalt zu beobachten, die oftmals unaufgeklärt bleibt. Menschen wurden beispielsweise während des Schlafens brutal attackiert und angezündet“, sagt Thomas Billstein von Backup. Zahlreiche dieser Taten ereigneten sich zudem an Orten, an denen sich wohnungslose Menschen notgedrungen aufhalten, sodass diese Menschen der Gewalt meist schutzlos ausgeliefert waren.

Die Häufung und Brutalität dieser Taten deutet auf eine weiter sinkende Hemmschwelle und auf eine zunehmende Bereitschaft zu direkten physischen Angriffen innerhalb rechter Gewaltmilieus hin. Die gesellschaftliche Signalwirkung dieser Taten muss als Ausdruck einer sich verschärfenden rechten Gewaltstrategie verstanden werden. Täter*innen nehmen schwerste Verletzungen oder den Tod von Menschen bewusst in Kauf – oder zielen bewusst darauf ab.

Regionale Häufung im Rheinland und wieder mehr Angriffe im öffentlichen Raum Die Jahresbilanz 2024 zeigt, dass sich besonders viele Fälle im Rheinland und hier in urbanen Räumen konzentrieren – vor allem dort, wo gesellschaftliche Vielfalt auf strukturell verfestigte Abwertungen trifft. Wieder deutlich zugenommen haben Angriffe im öffentlichen Raum, d.h. auf der Straße, im ÖPNV wie auch bei Demonstrationen und Kundgebungen. ,,Es ist besorgniserregend, dass Köln auch bei Gewalt gegen LSBTIQ+ Personen den landesweiten Höchstwert markiert sowohl absolut als auch anteilig. Diese Entwicklungen sind kein Zufall.

Gerade in urbanen Räumen, in denen marginalisierte Gruppen sichtbarer sind, richtet sich rechte Gewalt gezielt gegen gelebte Vielfalt und Selbstbestimmung. Das macht deutlich: Die Täter*innen wollen nicht nur verletzen sie wollen auch, dass Räume nicht mehr sicher sind“, sagt Hannah Richardy, Beraterin der OBR. Die teils schwerwiegenden Taten sind meist gezielt gegen Communities gerichtet – ihr Symbolcharakter wirkt über die konkrete Tat hinaus und hinterlässt Angst, Wut und Ohnmacht in den betroffenen Gruppen.

,,Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl rechter Gewalttaten im Rheinland um über 70% gestiegen. In mehr als der Hälfte aller erfassten Orte haben sich die Vorfälle mindestens verdoppelt. Diese Dynamik ist erschütternd sie zeigt, dass rechte Gewalt längst kein Randphänomen ist. Sie ist Alltag“, stellt Asal Kosari, Beraterin der OBR, heraus. Eileen Beyer, Beraterin von Backup, ergänzt:,,Viele Betroffene berichten uns, dass sie bei Angriffen im öffentlichen Raum keinerlei Unterstützung durch umstehende Passant*innen erfahren haben. Das verstärkt das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, auch über den Angriff hinaus. Betroffene fühlen sich lange unsicher selbst an belebten Orten. Sie haben nicht nur Angst vor erneuter Gewalt, sondern auch davor wieder allein gelassen zu werden.“ Für betroffene Personen bedeutet dies eine meist starke Einschränkung der Bewegungsfreiheit und einen Rückzug aus Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. ,,Die ausbleibende Zivilcourage hat weitreichende Folgen: Sie erschüttert das Vertrauen in gesellschaftliche Solidarität und normalisiert rassistische, antisemitische und extrem rechte Gewalt als Teil des öffentlichen Lebens“, so Beyer (BackUp) weiter.

,,Auch wenn aus den Metropolen und Großstädten die meisten Gewalttaten gemeldet werden, ist seit Jahren eine Steigerung von Fällen aus dem ländlichen und kleinstädtischen Raum zu beobachten. Rechte Gewalt ist in der Breite der Gesellschaft zu verorten“, resümiert Billstein (BackUp).

Gravierende Diskrepanz zur PMK-rechts Statistik

Auffällig ist erneut die große Diskrepanz der Jahresbilanz der Beratungsstellen zu behördlich erfassten Angriffen in NRW in 2024: Der Verfassungsschutzbericht NRW für 2024 gibt Auskunft über 154 dokumentierte rechte Gewalttaten sowie 83 Bedrohungsdelikte. Damit liegen die Zahlen der beiden Betroffenenberatungsstellen in NRW mit insgesamt 526 Fällen deutlich höher. Die Diskrepanz unterstreicht, dass das tatsächliche Ausmaß rechter Gewalt in NRW deutlich höher liegt als offiziell ausgewiesen.

„Wenn immer wieder selbst angezeigte Gewalttaten, in denen eindeutige Hinweise auf ein rechtes Tatmotiv vorliegen, keinen Eingang in die PMK-rechts Statistik finden, dann ist das nicht nur ein Erfassungsdefizit, sondern eine systematische Verschleierung des tatsächlichen Ausmaßes rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt“, so Reeker (OBR).

Konsequenzen für Betroffene und Forderungen an Landesregierung und Kommunen

„Ratsuchende, die von Rassismus betroffen sind, berichteten uns vermehrt, dass sie ernsthaft darüber nachdenken, Deutschland zu verlassen. Ausschlaggebend ist dabei nicht allein die offen rassistische Rhetorik der AfD, sondern vor allem, dass diese zunehmend von anderen Parteien übernommen und gesellschaftlich normalisiert wird“, erläutert Nils J., Berater von Backup. ,,Auch in NRW mehren sich Zustimmungswerte für extrem rechte Positionen, verschärfen rassistische Botschaften die politische Stimmung, treiben den Diskurs und die politische Praxis nach rechts und schlagen in reale Gewalt um. Für die Betroffenen dieser Politik bedeutet das konkrete und existenzielle Gefährdungslagen und ein permanentes Unsicherheitsgefühl. Es braucht jetzt nicht nur klare politische Abgrenzung nach Rechts, sondern aktive Solidarität und einen politischen Gegenentwurf: Schutz, Unterstützung und eine Politik, die sich konsequent an den Rechten und Perspektiven der von rechter Hetze Betroffenen orientiert“, schließt Hosono (0BR).

„Angesichts der dramatisch hohen Zahlen rechter Gewalt braucht es ein klares Bekenntnis zu Schutz und Solidarität mit den Betroffenen: NRW muss spezialisierte Opferberatungsstellen verlässlich und dauerhaft finanzieren sowie zivilgesellschaftliche Anlaufstellen strukturell stärken, die tagtäglich demokratie- und menschenfeindlichen Dynamiken entgegenwirken nicht im Rahmen von Projektfinanzierung, sondern als staatliche Verpflichtung“, schlussfolgert Fabian Reeker (0BR).

Ausführliche Analysen sowie die grafische Aufbereitung der Statistik finden sich im Hintergrundpapier zur Jahresstatistik 2023. Die Grafiken sind unter Nennung der Quelle (Opferberatung Rheinland und BackUp) frei verwendbar. Downloadbar auf den Webpräsenzen der Fachberatungsstellen:
www.opferberatung-rheinland.de
www.backup-nrw.org

Ansprechpartner*innen für Interviews und Rückfragen:

FabianReeker(OBR) | Telefon: 0177 844 35 72 | Mail: info[at]opferberatung-rheinland.de
Toni Wagner (BackUp) | Telefon: 01520 634 31 35 | Mail: presse[at]backup-nrw.org

Pressemittelung: Rechte Gewalt 2024: Neuer Höchststand in NRW – Jahresbilanz der Opferberatungsstellen NRW

Hintergrundpapier Jahresbilanz rechter Gewalt 2024: Ein neuer Höchststand in NRW Langfassung

Hintergrundpapier Jahresbilanz rechter Gewalt 2024: Ein neuer Höchststand in NRW Kurzfassung

Folgende Grafiken können mit Nennung der Quelle gerne genutzt werden:

Düsseldorf / Dortmund, der 04.09.2024 Stellungnahme der Opferberatung Rheinland (OBR) und Betroffenenberatung BackUp

Die Opferberatung Rheinland (OBR) und die Betroffenenberatung BackUp äußern erhebliche Kritik an der Durchführung des Projekts „ToreG NRW“. Das Projekt, das bereits vor neun Monaten (Dezember 2023) abgeschlossen wurde, untersuchte 30 Verdachtsfälle rechter Tötungsdelikte der letzten 40 Jahre in Nordrhein-Westfalen. Die Überprüfung solcher Fälle ist ein wichtiger und richtiger Schritt zur Aufarbeitung rechter Gewalt. Beide Beratungsstellen in NRW begrüßen daher grundsätzlich und entschieden die Bemühungen, sich mit diesen Fällen auseinander zu setzen und diese neu zu bewerten. Allerdings äußern die spezialisierten Opferberatungsstellen erhebliche Kritik an der Durchführung und insbesondere an der Kommunikation der Projektergebnisse.

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Gemeinsame Pressemitteilung der Fachberatungsstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Die spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer, antisemitischer und anderer Formen menschenfeindlicher Gewalt in NRW verzeichnen für das Jahr 2023 ein anhaltend hohes Niveau rechter Angriffe. Insgesamt erfassten die Opferberatung Rheinland (OBR) und die Betroffenenberatung BackUp 355 Fälle rechter Gewalt mit mindestens 452 direkt betroffenen Personen, darunter ein Tötungsdelikt. Die nicht zu erfassende Dunkelziffer rechtsmotivierter Gewalt schätzen die Fachberatungsstellen als sehr hoch ein.

Erneut in 2023 — Rassismus als häufigstes Tatmotiv

Für das Jahr 2023 verzeichnen die Beratungsstellen 214 rassistisch motivierte Angriffe, ein weiterer Anstieg gegenüber 2022 (209 Angriffe). Über 60 Prozent der rechten Angriffe in NRW waren somit rassistisch motiviert. Rassismus äußert sich in unterschiedlichen Erscheinungsformen und betrifft unter ande- rem Menschen mit Flucht- und Migrationsbiografien, Muslim*innen, Schwarze Menschen oder Sinti* und Roma*. Die registrierten Taten umfassen einfache (77) und gefährliche (54) Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen (5), Bedrohungs- und Nötigungsdelikte (73), sowie massive Sachbeschädigungen (4). Rassismus ist allgegenwärtig, tief in gesellschaftlichen Strukturen verwurzelt und für die davon Betroffe- nen eine nahezu alltägliche Erfahrung:

„Angesichts der stetigen Normalisierung und Verschärfung rassistischer Diskurse und wachsenden Zustimmungswerten für rechte Politik bedarf es dringend einer praktischen Solidarität mit den von Rassismus und rechter Gewalt betroffenen Menschen, anstatt reiner Lippenbekenntnisse. Diese Solidarität muss sich unter anderem in konkreten politischen Maßnahmen und einer konsequenten Abgrenzung nach rechts niederschlagen“, sagt Fabian Reeker von der Opferberatung Rheinland. „So müssen beispielsweise Förderprogramme auf Bundes- und Landesebene einen langfristigen Auf- und Ausbau von spezialisierten Betroffenenberatungsstellen sicherstellen“, so Reeker weiter.

Deutliche Zunahme antisemitischer Gewalttaten

Schon seit 2019 registrieren die Beratungsstellen eine kontinuierliche Steigerung antisemitischer Gewalt, welche 2023 eine drastische Zuspitzung erlebt. Die Angriffe umfassten massive Sachbeschädigung (1), Bedrohungen und Nötigungen (25) sowie einfache (6) und gefährliche Körperverletzungen (5).

„In Nordrhein Westfalen verzeichnen wir einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Gewalt nach dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel“, bestätigt Niklas Weitekamp von der Opferberatung Rheinland. „Jüdische Menschen in NRW sehen sich einer erhöhten Bedrohungslage ausgesetzt. Insbesondere im dynamischen Demonstrationsgeschehen haben wir eine Vielzahl von Übergriffen registriert, aber auch Angriffe im Wohnumfeld oder im öffentlichen Raum haben zugenommen.“

Besorgniserregender Anstieg von Gewalt gegen Obdach- und Wohnungslose gipfelt in einem Tötungsdelikt

Im Jahr 2023 konnten zwölf sozialdarwinistische Gewalttaten verifiziert werden — alle Angriffe richteten sich gegen wohnungslose Menschen, oder solche, die als wohnungslos wahrgenommen wurden. Neben einem Raubfall, zwei einfachen Körperverletzungsdelikten und acht gefährlichen Körperverletzungen, musste auch ein Todesopfer beklagt werden.

So wurde in Horn-Bad Meinberg ein 47-jähriger Mann von drei Jugendlichen angegriffen und mit mehreren Messerstichen getötet — die Tat wurde gefilmt und über soziale Medien verbreitet.

„Tötungsdelikte sind eine letzte tragische Konsequenz einer vorausgegangenen alltäglichen Abwertung wohnungsloser Menschen“, so Lisa Schulte von BackUp. „Fehlende Rückzugs- und Schutzmöglichkeiten tragen erheblich dazu bei, dass Diskriminierungen und Gewalt auf der Straße zu einer allgegenwärtigen Erfahrung werden, bei der die davon betroffenen Menschen ständig sichtbar und besonders angreifbar sind.“

Intensität der Übergriffe nimmt zu

Mit besonderer Besorgnis müssen die spezialisierten Beratungsstellen auch für das Jahr 2023 eine Zunahme der Intensität der Gewalt registrieren. Neben dem registrierten Tötungsdelikt zeigt sich auch ein deutlicher Anstieg von gefährlichen Körperverletzungsdelikten. Diese erreichten mit insgesamt 88 Fällen im Jahr 2023 einen traurigen Höchstwert seit dem Beginn des unabhängigen Monitorings in NRW. Knapp ein Viertel der Gesamttaten in NRW entfallen somit auf gefährliche Körperverletzungsdelikte.

Die Opferberatung Rheinland (OBR) und BackUp unterstützen seit 2011/12 Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in NRW. Darüber hinaus dokumentieren sie gemeinsam die Angriffs- und Bedrohungszahlen rechter, rassistischer, antisemitischer sowie anderer menschenfeindlich motivierter Gewalt. Diese veröffentlichen sie im jährlichen Zyklus.

Ausführliche Analysen sowie die grafische Aufbereitung der Statistik finden sich im Hintergrundpapier zur Jahresstatistik 2023. Die Grafiken sind unter Nennung der Quelle (Opferberatung Rheinland und BackUp) frei verwendbar. Downloadbar auf den Webpräsenzen der Fachberatungsstellen:
www.opferberatung-rheinland.de
www.backup-nrw.org

Ansprechpartner*innen für Interviews und Rückfragen:

Fabian Reeker (OBR) | Telefon: 0177 844 35 72 | Mail: info[at]opferberatung-rheinland.de

Niklas Weitekamp (OBR) | Mail: nw[at]opferberatung-rheinland.de

Lisa Schulte (BackUp) | Telefon: 0177 5 83 3023 | Mail: monitoring[at]backup-nrw.org

Pressemitteilung: Rechte Gewalt in NRW verbleibt auf sehr hohem Niveau — Jahresbilanz rechter Angriffe 2023

Hintergrundpapier zum Monitoring rechter rassistischer antisemitischer Gewalt 2023 OBR und BackUp

Folgende Grafiken können mit Nennung der Quelle gerne genutzt werden:

Nach Enthüllungen der Deportationspläne von AfD und Neonazis: Wir brauchen anhaltenden Widerstand gegen Rechts und fordern konsequente Stärkung der Strukturen für Betroffene

Das Recherchenetzwerk „Correctiv“ hat vor kurzem ein geheimes Treffen zwischen AfD- Politiker*innen, Neonazis, Mitgliedern der Werteunion und Unternehmer*innen aufgedeckt.

Als Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt arbeiten wir mit Menschen, die zum Teil direkt von den dort besprochenen Deportationsplänen betroffen wären. Wir erleben täglich, welche konkreten Gefahren und Gefährdungen von rechten Ideologien ausgehen, und wie sie dazu führen, dass Menschen angegriffen, verletzt, oder sogar getötet werden.

Betroffene im Fokus von Hetze und rechter Gewalt

Die Normalisierung extrem rechter Diskurse hat die Bedrohungslage für viele Menschen in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Täglich werden in Deutschland mindestens fünf Menschen Opfer von rassistischen, antisemitischen und rechten Gewalttaten. Dazu gehören auch Betroffene von Queer- und Transfeindlichkeit, Sozialdarwinismus (z.B. obdach- und wohnungslose Menschen), aber auch demokratisch und antifaschistisch Engagierte,

Journalist*innen und Mandatsträger*innen demokratischer Parteien, die als „politische Gegner*innen“ Ziel rechter Angriffe werden.

Die hohen Zustimmungswerte für rechte Positionen in der Gesellschaft führen dazu, dass sich Betroffene nicht mehr sicher fühlen – und genau das ist das Ziel rechter Akteur*innen.

In NRW erfassten wir für 2022 371 Fälle rechter Gewalt mit mindestens 501 direkt betroffenen Personen. Zahlreiche darüber hinaus ermittelte Verdachtsfälle konnten aufgrund fehlender Informationen nicht in die Statistik mit einfließen – die Dunkelziffer ist entsprechend hoch. Für 2023 erwarten wir ähnlich hohe Zahlen – die Anzahl der Vorfälle rechter Gewalt ist in NRW in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Rechte Gewalt trifft Menschen bundesweit. Auch in NRW finden sich rechte Netzwerke und organisierte Strukturen. Auch in NRW gibt es seitens der AfD Kontakte mit extrem Rechten der Identitären Bewegung (IB) und anderen organisierten Rechten – zuletzt mit einer Einladung des extrem rechten Verlegers Götz Kubitschek in Dortmund.

Die Ängste und Sorgen von Betroffenen gründen sich folglich auf realen Bedrohungslagen – diese sind entsprechend ernst zu nehmen. Die Bedrohungssituation als solche ist nicht neu – die Konkretheit der auf dem Geheimtreffen diskutierten Pläne jedoch eine weitere psychische Belastung für Menschen, die ohnehin bereits alltäglich mit den rassistischen Strukturen innerhalb unserer Gesellschaft und um eine gerechte Partizipationsmöglichkeit kämpfen müssen.

Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Thailand und Vietnam um Fachkräfte wirbt, stellen sich viele Menschen mit Migrationsgeschichte derzeit eingehend die Frage, ob sie noch in Deutschland leben können – oder ob sie besser das Land verlassen. Dies ist ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft, die den Anspruch hat, demokratisch, rechtsstaatlich, offen und tolerant zu sein.

Die Unsicherheit bei Betroffenen ist groß – insbesondere bei denjenigen, die bereits heute nur unsichere oder ungeklärte Aufenthaltstitel haben. Als Fachberatungsstellen erleben wir in

unserer alltäglichen Arbeit, wie prekäre Lebensumstände der Verarbeitung und Bewältigung der traumatischen Erfahrung, Opfer rechter Gewalt geworden zu sein, entgegen stehen, diese behindern oder sogar verunmöglichen.

Daher forden wir eine unbürokratische Grundrente mit einer adäquaten Existenzsicherung für Betroffene schwerer rechter Gewalttaten sowie einen wirksamen Opferschutz orientiert an den Lebensrealitäten von Betroffenen.

Außerdem fordern wir die Erweiterung des Opferschutzes im Aufenthaltsgesetz in Form eines humanitären Bleiberechts für Gewaltbetroffene ohne festen Aufenthaltsstatus. Dies wäre ein deutliches Signal des Gesetzgebers, sich den politischen Zielen der Täter*innen und rechten Meinungsmacher*innen wie IB und AfD entgegenzustellen.

Warum ein Verbotsverfahren gegen die AfD sinnvoll und notwendig ist

Auch in NRW erleben wir seit Jahren einen Zuwachs rechter Gewalt. Daher stellen wir uns als spezialisierte Betroffenenberatungsstellen entschieden gegen Rechts und schließen uns den Forderungen nach einer Prüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD an.

Bereits im Mai 2023 haben die Beratungsstellen geschlossen – im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) – auf die zunehmende Gewaltbereitschaft bei Funktionär*innen der AfD hingewiesen. Darüber hinaus haben die Beratungsstellen eine konsequente Abgrenzung nach rechts, durch alle demokratischen Parteien – auch auf kommunaler Ebene – gefordert.

Belege gibt es zur Genüge: Die AfD wird von sämtlichen Expert*innen und in einigen Landesverbänden inzwischen sogar von Verfassungsschutzbehörden als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Sie plant, die Demokratie zu untergraben und gegen die Verfassung zu handeln. Verschiedene Medien und unabhängige Journalist*innen haben wiederholt auf verfassungsfeindliche Aussagen und Verhaltensweisen innerhalb der Partei hingewiesen. Die Partei hat sich zudem über die letzten Jahre zu einem Sammelbecken von diversen rechtsextremen Personen und Strukturen entwickelt. Durch die nun bekanntgewordenen menschenverachtenden Pläne sind die Vorhaben der AfD noch deutlicher geworden und die Prüfung eines Verbots beim Bundesverfassungsgericht muss in die Wege geleitet werden.

Zivilgesellschaftlicher Protest ist nötig – nicht nur gegen die Deportationspläne der AfD.

Mehr als 1,4 Millionen Menschen sind in den vergangenen Wochen gegen Rechts auf die Straße gegangen. Wir begrüßen die große Mobilisierung und stehen solidarisch mit den Demonstrierenden. Gleichzeitig ist uns klar: Das allein wird nicht reichen.

Rassismus und andere menschenverachtende Haltungen sind nicht nur ein Problem der AfD, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Rechte Inhalte und Ideologieelemente finden sich nicht nur in der AfD, sondern teils auch in Haltungen und in der konkreten Politik demokratischer Parteien. Es fehlt eine klare Abgrenzung – die AfD wurde lange nicht ausreichend als reale, zentrale Gefahr begriffen. Wir fordern weiterhin und nun noch mehr eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD von allen demokratischen Parteien. Die AfD ist kein legitimer politischer Partner – sondern, wie sich einmal mehr gezeigt hat, brandgefährlich.

Gleichzeitig braucht es nicht nur eine klare Abgrenzung von der AfD als politischem Partner, sondern auch von ihren Inhalten. Vertreter*innen aus den etablierten demokratischen Parteien haben den Rechtsruck seit Jahren ebenfalls befördert und institutionalisiert: indem sie Inhalte übernahmen und den Forderungen der AfD nichts Grundlegendes entgegensetzten – und dies immer noch tun.

Erst vergangene Woche hat der Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Bundesregierung verabschiedet – ein massiver Eingriff in die ohnehin schon eingeschränkten Grundrechte von Geflüchteten.

Im Dezember 2023 hat die Bundesregierung die Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) und damit eine de facto Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl mit ihrer Zustimmung ermöglicht.

Statt einer Verschiebung der Debatte nach rechts fordern wir eine stärkere Berücksichtigung von Betroffenen in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit Rassismus und extrem rechten Ideologien. Ihre Perspektiven und Erfahrungen müssen die Grundlage für gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse sein.

Dafür bedarf es einer weitreichenden Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassifizierten Menschen in NRW, die im gesellschaftlichen Leben insgesamt und vor allem in politischen Institutionen massiv unterrepräsentiert sind.

Trotz der aktuellen breiten Mobilisierung gegen Rechts auf den Straßen finden wir auch in Teilen des gesellschaftlichen Diskurses rechte Positionen und Narrative. Wir brauchen organisierten Widerspruch – im Großen und im Kleinen. Eine gelebte Haltung gegen Rechts beginnt im eigenen sozialen Umfeld. Uns allen muss klar sein: Rassismus, Antisemitismus, rechte Gewalt und rechte Umsturzpläne gehen uns alle an – und gleichzeitig treffen sie uns unterschiedlich.

Menschen sind unterschiedlich durch sie bedroht und verfügen über unterschiedliche Ressourcen und damit unterschiedliche Möglichkeiten, sich aktiv in politische Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse einzubringen. Rassismusbetroffene Personen verfügen proportional betrachtet zu deutlich geringeren Anteilen über ein Wahlrecht – und damit die Möglichkeit, die AfD auf parlamentarischer Ebene zu bekämpfen.

Daher fordern wir alle Menschen und Institutionen der Zivilgesellschaft auf: Wir brauchen dauerhaften und breiten Widerstand gegen Rechts. #NieWieder darf kein punktueller Empörungsmoment sein, sondern bedarf einer konsequenten Haltung gegen Rechts. Wir fordern alle dazu auf, ihre Möglichkeiten der politischen Einflussnahme zu nutzen – auch und gerade in Solidarität mit eben jenen Menschen, die über weniger Möglichkeiten verfügen, oder denen Möglichkeiten der Partizipation strukturell verwehrt werden.

Strukturelle Probleme verlangen nach strukturellen Lösungen

Vor dem Hintergrund der eskalierenden antisemitischen Bedrohungen, Angriffe und Gewalt in Deutschland und der hohen Zustimmungswerte für die extrem rechte AfD dürfen die Betroffenen von Rechtsstaat, Politik und Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden. Als zwei der Gewaltopferberatungsstellen des VBRG haben wir bereits im vergangenen Jahr

davor gewarnt, dass die aktuellen Debatten sowohl Antisemitismus als auch Rassismus reproduzieren und verschärfen sowie Ausgangspunkt für eine weitere Eskalation von Gewalttaten und Bedrohungen werden.

Sowohl vor dem Hintergrund der flächendeckenden Bedrohung durch und Präsenz von antisemitisch, rassistisch und rechts motivierter Gewalt, der gravierenden Untererfassung sowie der langandauernden Instanzenwege und Verfahrensdauern ist es besonders wichtig, dass fachspezifische Opferberatungsstellen als kontinuierliche Ansprechpartner*innen und Anlaufstellen für die Verletzten gestärkt werden.

Die 2012 durch das EU-Parlament angenommene und 2015 in allen Mitgliedsstaaten in Kraft getretene EU-Opferschutzrichtlinie, verpflichtet die Bundesregierung dazu, die Rechte von Opfern von Straftaten erheblich zu stärken. Dazu gehört auch die Verpflichtung der Bundesregierung, den Zugang zu unabhängigen, professionellen und fachspezifischen Beratungsstellen zu erleichtern und auszubauen.

Wir fordern daher eine langfristige, gesicherte Finanzierung der Gewaltopferberatungsstellen und eine Beendigung der Projektlogik in unserer Arbeit. Eine solidarische Gesellschaft muss sicherstellen, dass ihre Schutzstrukturen stark und finanziell abgesichert sind.

Opferberatungsstellen als erste Anlaufstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sind hiervon elementarer Bestandteil.

Außerdem fordern wir die Einrichtung eines Notfallfonds aus öffentlichen Mitteln auf Landesebenen, um im Fall rechtsterroristischer Anschläge eine adäquate Versorgung und Unterstützung gewährleisten zu können – inklusive der situativen Aufstockung der Ressourcen von Beratungsstrukturen in NRW, um im Falle eines Großschadensereignisses in NRW eine mittel- und langfristige Unterstützung von Betroffenen sicherstellen zu können.

Wir stehen weiterhin solidarisch an der Seite von Betroffenen – und damit klar gegen Rechts.

Wir sind weiterhin ansprechbar für Betroffene, die rechte, rassistische und antisemitische Gewalt bereits jetzt erleben.

Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt  
Kottbusser Damm 7, 10967 Berlin 
Tel.: 030 – 85 97 77
E-Mail: info@verband-brg.de
Internetseite: verband-brg.de

Policy Paper des VBRG

Bedarfe und Notwendigkeiten der spezialisierten, unabhängigen Gewaltopferberatungsstellen für Betroffene rassistischer, antisemitisch und rechts motivierter Gewalttaten

Berlin, den 30.11.2023

Ausgangssituation:

Täglich werden mindestens fünf Menschen Opfer von rechts motivierten Gewalttaten.1 Rechte, rassistische und antisemitische Angriffe beeinflussen und verändern jährlich das Leben vieler tausend Einzelpersonen, Familien und sozialer Communities und Zusammenhänge in Deutschland. Die direkt und indirekt Betroffenen über ihre Rechte als Opferzeug*innen in Strafverfahren zu informieren und bei deren Wahrnehmung und Durchsetzung zu unterstützen, ihren Erfahrungen und Forderungen Gehör zu verschaffen und sie in der Verarbeitung des Erlebten zu begleiten, ist Aufgabe der fachspezifischen Opferberatungsstellen. 17 Gewaltopferberatungsprojekte aus 14 Bundesländern mit rund 35 Anlaufstellen und Onlineberatungen sind im VBRG e.V. zusammengeschlossen. Sie unterstützen die direkt Betroffenen von Angriffen, Bedrohungen, Attentaten, Brandanschlägen und Überfällen ebenso wie deren Angehörige, Hinterbliebene, Bezugspersonen und Zeug*innen: kostenlos, vertraulich, vor Ort, parteilich im Sinne der Betroffenen und auf Wunsch auch anonym. Der VBRG setzt sich dafür ein, dass Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bundesweit Zugang zu professionellen, unabhängigen, kostenlosen und parteilich in ihrem Sinne arbeitenden Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen erhalten – und bietet dafür bundesweit Fortbildungen, Hilfsmaterial sowie unabhängiges Monitoring zum Ausmaß rechter Gewalt an: für alle fachspezifischen Opferberatungsstellen ebenso wie für ein breites Netz von Kooperationspartner*innen, die durch Demokratie leben! gefördert werden sowie für Medien, Wissenschaftler*innen und Interessierte in Politik, Verwaltung und Justiz.

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