Nach Enthüllungen der Deportationspläne von AfD und Neonazis: Wir brauchen anhaltenden Widerstand gegen Rechts und fordern konsequente Stärkung der Strukturen für Betroffene

Das Recherchenetzwerk „Correctiv“ hat vor kurzem ein geheimes Treffen zwischen AfD- Politiker*innen, Neonazis, Mitgliedern der Werteunion und Unternehmer*innen aufgedeckt.

Als Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt arbeiten wir mit Menschen, die zum Teil direkt von den dort besprochenen Deportationsplänen betroffen wären. Wir erleben täglich, welche konkreten Gefahren und Gefährdungen von rechten Ideologien ausgehen, und wie sie dazu führen, dass Menschen angegriffen, verletzt, oder sogar getötet werden.

Betroffene im Fokus von Hetze und rechter Gewalt

Die Normalisierung extrem rechter Diskurse hat die Bedrohungslage für viele Menschen in den vergangenen Jahren deutlich verschärft. Täglich werden in Deutschland mindestens fünf Menschen Opfer von rassistischen, antisemitischen und rechten Gewalttaten. Dazu gehören auch Betroffene von Queer- und Transfeindlichkeit, Sozialdarwinismus (z.B. obdach- und wohnungslose Menschen), aber auch demokratisch und antifaschistisch Engagierte,

Journalist*innen und Mandatsträger*innen demokratischer Parteien, die als „politische Gegner*innen“ Ziel rechter Angriffe werden.

Die hohen Zustimmungswerte für rechte Positionen in der Gesellschaft führen dazu, dass sich Betroffene nicht mehr sicher fühlen – und genau das ist das Ziel rechter Akteur*innen.

In NRW erfassten wir für 2022 371 Fälle rechter Gewalt mit mindestens 501 direkt betroffenen Personen. Zahlreiche darüber hinaus ermittelte Verdachtsfälle konnten aufgrund fehlender Informationen nicht in die Statistik mit einfließen – die Dunkelziffer ist entsprechend hoch. Für 2023 erwarten wir ähnlich hohe Zahlen – die Anzahl der Vorfälle rechter Gewalt ist in NRW in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Rechte Gewalt trifft Menschen bundesweit. Auch in NRW finden sich rechte Netzwerke und organisierte Strukturen. Auch in NRW gibt es seitens der AfD Kontakte mit extrem Rechten der Identitären Bewegung (IB) und anderen organisierten Rechten – zuletzt mit einer Einladung des extrem rechten Verlegers Götz Kubitschek in Dortmund.

Die Ängste und Sorgen von Betroffenen gründen sich folglich auf realen Bedrohungslagen – diese sind entsprechend ernst zu nehmen. Die Bedrohungssituation als solche ist nicht neu – die Konkretheit der auf dem Geheimtreffen diskutierten Pläne jedoch eine weitere psychische Belastung für Menschen, die ohnehin bereits alltäglich mit den rassistischen Strukturen innerhalb unserer Gesellschaft und um eine gerechte Partizipationsmöglichkeit kämpfen müssen.

Während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Thailand und Vietnam um Fachkräfte wirbt, stellen sich viele Menschen mit Migrationsgeschichte derzeit eingehend die Frage, ob sie noch in Deutschland leben können – oder ob sie besser das Land verlassen. Dies ist ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft, die den Anspruch hat, demokratisch, rechtsstaatlich, offen und tolerant zu sein.

Die Unsicherheit bei Betroffenen ist groß – insbesondere bei denjenigen, die bereits heute nur unsichere oder ungeklärte Aufenthaltstitel haben. Als Fachberatungsstellen erleben wir in

unserer alltäglichen Arbeit, wie prekäre Lebensumstände der Verarbeitung und Bewältigung der traumatischen Erfahrung, Opfer rechter Gewalt geworden zu sein, entgegen stehen, diese behindern oder sogar verunmöglichen.

Daher forden wir eine unbürokratische Grundrente mit einer adäquaten Existenzsicherung für Betroffene schwerer rechter Gewalttaten sowie einen wirksamen Opferschutz orientiert an den Lebensrealitäten von Betroffenen.

Außerdem fordern wir die Erweiterung des Opferschutzes im Aufenthaltsgesetz in Form eines humanitären Bleiberechts für Gewaltbetroffene ohne festen Aufenthaltsstatus. Dies wäre ein deutliches Signal des Gesetzgebers, sich den politischen Zielen der Täter*innen und rechten Meinungsmacher*innen wie IB und AfD entgegenzustellen.

Warum ein Verbotsverfahren gegen die AfD sinnvoll und notwendig ist

Auch in NRW erleben wir seit Jahren einen Zuwachs rechter Gewalt. Daher stellen wir uns als spezialisierte Betroffenenberatungsstellen entschieden gegen Rechts und schließen uns den Forderungen nach einer Prüfung eines Verbotsverfahrens gegen die AfD an.

Bereits im Mai 2023 haben die Beratungsstellen geschlossen – im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) – auf die zunehmende Gewaltbereitschaft bei Funktionär*innen der AfD hingewiesen. Darüber hinaus haben die Beratungsstellen eine konsequente Abgrenzung nach rechts, durch alle demokratischen Parteien – auch auf kommunaler Ebene – gefordert.

Belege gibt es zur Genüge: Die AfD wird von sämtlichen Expert*innen und in einigen Landesverbänden inzwischen sogar von Verfassungsschutzbehörden als erwiesen rechtsextrem eingestuft. Sie plant, die Demokratie zu untergraben und gegen die Verfassung zu handeln. Verschiedene Medien und unabhängige Journalist*innen haben wiederholt auf verfassungsfeindliche Aussagen und Verhaltensweisen innerhalb der Partei hingewiesen. Die Partei hat sich zudem über die letzten Jahre zu einem Sammelbecken von diversen rechtsextremen Personen und Strukturen entwickelt. Durch die nun bekanntgewordenen menschenverachtenden Pläne sind die Vorhaben der AfD noch deutlicher geworden und die Prüfung eines Verbots beim Bundesverfassungsgericht muss in die Wege geleitet werden.

Zivilgesellschaftlicher Protest ist nötig – nicht nur gegen die Deportationspläne der AfD.

Mehr als 1,4 Millionen Menschen sind in den vergangenen Wochen gegen Rechts auf die Straße gegangen. Wir begrüßen die große Mobilisierung und stehen solidarisch mit den Demonstrierenden. Gleichzeitig ist uns klar: Das allein wird nicht reichen.

Rassismus und andere menschenverachtende Haltungen sind nicht nur ein Problem der AfD, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Rechte Inhalte und Ideologieelemente finden sich nicht nur in der AfD, sondern teils auch in Haltungen und in der konkreten Politik demokratischer Parteien. Es fehlt eine klare Abgrenzung – die AfD wurde lange nicht ausreichend als reale, zentrale Gefahr begriffen. Wir fordern weiterhin und nun noch mehr eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD von allen demokratischen Parteien. Die AfD ist kein legitimer politischer Partner – sondern, wie sich einmal mehr gezeigt hat, brandgefährlich.

Gleichzeitig braucht es nicht nur eine klare Abgrenzung von der AfD als politischem Partner, sondern auch von ihren Inhalten. Vertreter*innen aus den etablierten demokratischen Parteien haben den Rechtsruck seit Jahren ebenfalls befördert und institutionalisiert: indem sie Inhalte übernahmen und den Forderungen der AfD nichts Grundlegendes entgegensetzten – und dies immer noch tun.

Erst vergangene Woche hat der Bundestag das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ der Bundesregierung verabschiedet – ein massiver Eingriff in die ohnehin schon eingeschränkten Grundrechte von Geflüchteten.

Im Dezember 2023 hat die Bundesregierung die Reform des „Gemeinsamen Europäischen Asylsystems“ (GEAS) und damit eine de facto Abschaffung des individuellen Rechts auf Asyl mit ihrer Zustimmung ermöglicht.

Statt einer Verschiebung der Debatte nach rechts fordern wir eine stärkere Berücksichtigung von Betroffenen in der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzung mit Rassismus und extrem rechten Ideologien. Ihre Perspektiven und Erfahrungen müssen die Grundlage für gesellschaftspolitische Veränderungsprozesse sein.

Dafür bedarf es einer weitreichenden Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte und rassifizierten Menschen in NRW, die im gesellschaftlichen Leben insgesamt und vor allem in politischen Institutionen massiv unterrepräsentiert sind.

Trotz der aktuellen breiten Mobilisierung gegen Rechts auf den Straßen finden wir auch in Teilen des gesellschaftlichen Diskurses rechte Positionen und Narrative. Wir brauchen organisierten Widerspruch – im Großen und im Kleinen. Eine gelebte Haltung gegen Rechts beginnt im eigenen sozialen Umfeld. Uns allen muss klar sein: Rassismus, Antisemitismus, rechte Gewalt und rechte Umsturzpläne gehen uns alle an – und gleichzeitig treffen sie uns unterschiedlich.

Menschen sind unterschiedlich durch sie bedroht und verfügen über unterschiedliche Ressourcen und damit unterschiedliche Möglichkeiten, sich aktiv in politische Entscheidungs- und Verhandlungsprozesse einzubringen. Rassismusbetroffene Personen verfügen proportional betrachtet zu deutlich geringeren Anteilen über ein Wahlrecht – und damit die Möglichkeit, die AfD auf parlamentarischer Ebene zu bekämpfen.

Daher fordern wir alle Menschen und Institutionen der Zivilgesellschaft auf: Wir brauchen dauerhaften und breiten Widerstand gegen Rechts. #NieWieder darf kein punktueller Empörungsmoment sein, sondern bedarf einer konsequenten Haltung gegen Rechts. Wir fordern alle dazu auf, ihre Möglichkeiten der politischen Einflussnahme zu nutzen – auch und gerade in Solidarität mit eben jenen Menschen, die über weniger Möglichkeiten verfügen, oder denen Möglichkeiten der Partizipation strukturell verwehrt werden.

Strukturelle Probleme verlangen nach strukturellen Lösungen

Vor dem Hintergrund der eskalierenden antisemitischen Bedrohungen, Angriffe und Gewalt in Deutschland und der hohen Zustimmungswerte für die extrem rechte AfD dürfen die Betroffenen von Rechtsstaat, Politik und Gesellschaft nicht im Stich gelassen werden. Als zwei der Gewaltopferberatungsstellen des VBRG haben wir bereits im vergangenen Jahr

davor gewarnt, dass die aktuellen Debatten sowohl Antisemitismus als auch Rassismus reproduzieren und verschärfen sowie Ausgangspunkt für eine weitere Eskalation von Gewalttaten und Bedrohungen werden.

Sowohl vor dem Hintergrund der flächendeckenden Bedrohung durch und Präsenz von antisemitisch, rassistisch und rechts motivierter Gewalt, der gravierenden Untererfassung sowie der langandauernden Instanzenwege und Verfahrensdauern ist es besonders wichtig, dass fachspezifische Opferberatungsstellen als kontinuierliche Ansprechpartner*innen und Anlaufstellen für die Verletzten gestärkt werden.

Die 2012 durch das EU-Parlament angenommene und 2015 in allen Mitgliedsstaaten in Kraft getretene EU-Opferschutzrichtlinie, verpflichtet die Bundesregierung dazu, die Rechte von Opfern von Straftaten erheblich zu stärken. Dazu gehört auch die Verpflichtung der Bundesregierung, den Zugang zu unabhängigen, professionellen und fachspezifischen Beratungsstellen zu erleichtern und auszubauen.

Wir fordern daher eine langfristige, gesicherte Finanzierung der Gewaltopferberatungsstellen und eine Beendigung der Projektlogik in unserer Arbeit. Eine solidarische Gesellschaft muss sicherstellen, dass ihre Schutzstrukturen stark und finanziell abgesichert sind.

Opferberatungsstellen als erste Anlaufstellen für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sind hiervon elementarer Bestandteil.

Außerdem fordern wir die Einrichtung eines Notfallfonds aus öffentlichen Mitteln auf Landesebenen, um im Fall rechtsterroristischer Anschläge eine adäquate Versorgung und Unterstützung gewährleisten zu können – inklusive der situativen Aufstockung der Ressourcen von Beratungsstrukturen in NRW, um im Falle eines Großschadensereignisses in NRW eine mittel- und langfristige Unterstützung von Betroffenen sicherstellen zu können.

Wir stehen weiterhin solidarisch an der Seite von Betroffenen – und damit klar gegen Rechts.

Wir sind weiterhin ansprechbar für Betroffene, die rechte, rassistische und antisemitische Gewalt bereits jetzt erleben.